Quatsch mit der Abschlusswahrscheinlichkeit

Im Vertrieb gibt es einiges, das für Außenstehende seltsam wirkt. Eine beliebte Aussage von Vertrieblern ist, dass man Vertrieb kann oder eben nicht. Als wäre Vertrieb Voodoo und kein Beruf wie jeder andere auch.

Zu diesen Seltsamkeiten gehört definitiv auch ein anderes Phänomen, das man kaum verstehen kann: Angebot um des Angebots Willen machen.

Gerade im komplexen B2B-Vertriebsumfeld, in dem jede Akquise viel Aufwand erzeugt, werden nach wie vor Angebote gemacht, auch wenn die realistische Chance auf den Gewinn der Akquise gegen Null tendiert. Hakt man im Einzelfall nach, heißt es oft, selbst wenn die Chance klein sein mag, so hätte man ja gar keine Chance, wenn man kein Angebot abgibt.

Klingt zuerst irgendwie logisch. Ist aber in Wirklichkeit ein haarsträubender Unsinn. Das merkt man spätestens, wenn man nachfragt, wie viele dieser Kaum-eine-Chance-Angebote denn letztlich gewonnen werden. Die Aussage tendiert immer gegen Null.

Weniger als 50:50 ist gleich Null

Im Folgenden wird gezeigt, warum es Unsinn ist. Es geht an dieser Stelle nicht darum zu zeigen, wie die Gegenmittel im Detail aussehen (diese findet man in den anderen Beiträgen auf dieser Webseite). 

Durchläuft eine Akquise den gesamten Vertriebsprozess bis zu dem Punkt, an dem ein Angebot gestellt werden soll, so sind verschiedene Hürden bereits genommen worden. Meist sind am Anfang noch mehrere Anbieter im Rennen. Das Feld dünnt mit der Zeit aus. Gerade im komplexen B2B-Umfeld kann es sich der Kunde nicht leisten, mit einer beliebigen Anzahl von Anbietern den Auswahlprozess zu bestreiten. Das wäre viel zu aufwendig und würde viel zu lange dauern. Das bedeutet, dass zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe das Teilnehmerfeld meist auf 3-5 Anbieter geschrumpft ist.

Nehmen wir den Fall an, man soll ein Angebot abgeben und es sind noch 2 Mittbewerber im Boot. Wenn alle die gleiche Chance hätten, dann wäre die Chance zu gewinnen ca. 33%. Wäre die Chance immer bei allen Angeboten gleich und das Umfeld identisch, so würde man, wenn man genügend Angebote abgibt, im Durchschnitt jedes Dritte gewinnen. Wie ist es dann, mit Angeboten, die eine Chance von 10% haben? Dann müsste man ja auch nur genügend abgeben, um am Ende wenigstens jedes 10te zu gewinnen. Das würde die Behauptung, man hätte wenigstens eine kleine Chance, stützen.

Die Realität spricht dagegen. Und die Mathematik übrigens auch – und zwar ganz laut.

1×1 der Wahrscheinlichkeitsrechnung

Das Problem ist nämlich, dass jede Situation komplett verschieden ist von der anderen. Es gibt quasi keine zwei identischen Akquisen: unterschiedliche Unternehmen, unterschiedliche Anforderungen, unterschiedliche Personen, unterschiedliche Wettbewerber, unterschiedliche Prozesse usw. usf.

Das bedeutet, dass man immer 90% gegen sich hat. Und das bei jeder einzelnen Akquise. Daran ändert sich auch nichts – egal wie viele Angebote man abgibt. Die 10% sind nicht das gleiche wie die Chance beim Lotto – dort ist es immer die gleiche Anzahl von Kugeln und immer das gleiche Verfahren. Wenn man nun behauptet, dass man ein Angebot abgibt, damit man wenigstens eine Chance hätte, dann ist es als ob man behauptet, dass man die Chance beim Lotto verbessert, indem man eine Pferdewette macht, dann eine Wette im Fußball, eine Wette bei Roulette usw. Jeder weiß sofort, dass das Unsinn ist. Und so ist es auch bei diesen Kaum-eine-Chance-Angeboten.

Es wird nicht besser indem man mehr von diesen macht. Sie kosten jedes Unternehmen unnötig Zeit und Geld.

Nein – mache ich nicht

Manchmal kommt der Einwand, was man dann machen soll? Der Kunde will doch schließlich ein Angebot. Die Antwort ist ganz einfach: nicht machen.

Wenn man der Meinung ist, dass man ganz objektiv betrachtet keine Chance hat, dann gibt es keinen Grund, da noch mehr Aufwand reinzustecken. Und, das kann man dem Kunden auch ganz offen sagen. Das ist für alle Beteiligten besser. Und für den Vertrieb übrigens eine hervorragende Chance, ggf. doch wieder zurück ins Spiel zu kommen [⇒hier finden SIe mehr zum Thema „Nein“-Sagen].

Es ist sinnvoller, seine beschränkten Ressourcen in Aktivitäten zu stecken, die eine höhere Aussicht auf Erfolg haben. Und daher ist es immer sinnvoller zu versuchen, aus der Akquise mit einer 33% Chance eine bessere Möglichkeit zu machen. Das ist realistisch und möglich – man muss nur wissen wie; und das kann man lernen, denn Vertrieb ist nicht Voodoo!

Auf lange Sicht ist dies für jedes Unternehmen besser, statt weiter den Quatsch wie bisher zu machen.

 

Tipp: objektive Bewertungen von Akquisen sind nicht einfach. Dafür sollte man das notwendige methodische Wissen haben oder zumindest einen klaren Kriterienkatalog. Eine Bauchentscheidung darf die Chancen-Bewertung nicht sein. Man sollte auf jeden Fall immer das Gespräch mit dem Kunden suchen und die Beweggründe für die Zweifel am Gewinnen des Auftrags klar formulieren können.

Weitere Anregungen und Tipps finden sich hier.