Alles im Kopf

Im Kontakt mit Vertriebsmitarbeitern fällt oft ein mit absoluter Selbstverständlichkeit vorgetragener Satz: „Ich habe alles Wichtige im Kopf“ bzw. „Ein guter Vertriebsmitarbeiter hat alles Wichtige im Kopf“. Wie kann das sein? Und wie schafft der Vertrieb das? Im Folgenden gehen wir diesem Phänomen nach.

Zuerst: was ist mit der Aussage „alles Wichtige im Kopf“ genau gemeint? Selbstverständlich ist damit nicht gemeint, dass der Vertriebsmitarbeiter jede Telefonnummer, jede Email-Adresse und jedes Hobby von einer Person bei einem beliebigen Kunden auswendig weiß. Dazu hat man ja eine Adressverwaltung, ein CRM, sein Email-Programm usw. Um zu verstehen, was damit gemeint ist, muss man den Alltag eines Vertriebsmitarbeiters kennen.

Alles im Griff?

Der Vertrieb kommuniziert mit Kunden, kümmert sich um laufende Projekte, bereitet Präsentationen vor und führt diese durch und so weiter. Er wird im Unternehmen als die Schnittstelle zwischen seinem Arbeitgeber und dem Kunden angesehen. Gerade im Akquise-Prozess ist er oft der einzige, der regelmäßigen Kontakt zum Kunden hält. Je wichtiger der (potentielle) Auftrag und je näher der Entscheidungszeitpunkt ist, umso mehr gerät der Vertriebsmitarbeiter intern in den Fokus des Interesses. Regelmäßig darf er berichten, wie sich die Akquise entwickelt und die Erfolgswahrscheinlichkeit ist.

Von guten Vertriebsmitarbeitern wird erwartet, dass sie die „Situation im Griff“ haben. Sie sollen alles Wichtige über den Kunden wissen, schlicht absolut im Bilde darüber sein, was auf der Kundenseite passiert, wissen wie er vorgehen wird und auf jede Frage des Managements eine Antwort haben. Sie müssen alles sofort parat haben und jederzeit Rede und Antwort stehen können – also, alles Wichtige im Kopf haben. Und wenn man sich mit Vertriebsmitarbeitern unterhält, scheint dies auch oft der Fall zu sein.

Alles nur Illusion

Allerdings ist die Frage, ob das tatsächlich so sein kann, durchaus berechtigt. Schauen wir uns einmal die Fakten an.

Die Situation pro Akquise, gerade wenn es komplexer wird, hat u.a. (!) folgende Merkmale:

  • vom Erstkontakt bis zur Entscheidung vergehen Monate teils sogar Jahre
  • auf der Kundenseite sind in die Kaufentscheidung verschiedene Personen eingebunden: der oder die Entscheider, Fachanwender, der Einkauf, interne und externe Berater, Mitarbeiter auf verschiedenen Hierarchiestufen usw.
  • meist ist der Kunde mit mehreren Anbietern im Kontakt
  • die fachlichen Kriterien sind oft recht umfangreich
  • jede beteiligte Person hat aufgrund ihrer Fachlichkeit und Persönlichkeit einen anderen Blickwinkel
  • jeder Kunde hat mehr oder weniger individuelle Prozesse, die im Blick behalten werden müssen

Das bedeutet, dass jede Kundensituation in sich sehr komplex und hochgradig individuell ist. Der Vertrieb hat allerdings nicht nur mit einem Kunden zu tun, sondern mit vielen. Einerseits sind da die Bestandskunden, laufenden Projekte und schlicht das Tagesgeschäft. Hinzu kommen die Kunden in der Akquise. Und, jeder Kunde ist an einem anderen Punkt seines eigenen Entscheidungsprozesses.

Was die Sache noch schwieriger macht: man sitzt nicht auf der Kundenseite; so hat man immer ein Informationsdefizit. Hinzu kommt, dass der Entscheidungsprozess des Kunden selbst einer Dynamik unterliegt.

Die Realität

Wie kann dann der Vertrieb jederzeit wissen, was Stand der Dinge ist? Und das auch noch jederzeit abrufbar im Kopf haben?

Die Antwort ist ganz einfach: hat er nicht und kann er gar nicht.

Das kann kein Mensch leisten. Niemand kann aus dem Kopf heraus alle möglichen Konstellationen und Szenarien abrufen, die Wahrscheinlichkeiten berechnen und die in sich dynamischen Situationen adhoc bewerten (schon bei 5 Akquisen mit jeweils 5 beteiligten Personen und rudimentären berücksichtigten Informationen, ergeben sich 95 Billionen Kombinationsmöglichkeiten wie die Akquisesituation aussehen könnte).

Zumindest so lange er diese Informationen nicht systematisch analysiert, durchdacht und strukturiert erfasst hat, wird er nicht in der Lage dazu sein. Das tun allerdings ganz wenige. Die meisten agieren aus dem Bauchgefühl heraus.

Dem Management ist das allerdings oft egal, so lange es sich gut anhört. Und wenn am Ende des Jahres die Zahlen stimmen, schaut auch keiner hinter die Fassade.

Die Frage ist, sollte es überhaupt kümmern oder ist nicht das Ergebnis wichtiger?

Ja, sofern man das Ziel hat, fortlaufend besser zu werden.

Das kann es nur, wenn die notwendigen Informationen da sind. Im Kopf oder im Bauch eines Mitarbeiters haben sie keinen Wert;  erst recht, wenn Eloquenz vor Fakten geht.

Will ein Unternehmen mehr aus den vertrieblichen Möglichkeiten machen, dann muss der Vertrieb strukturierter arbeiten und das Wissen darüber in der richtigen Form wirklich zur Verfügung stehen.

Denn eins sicher: wir sind mitten in einem gewaltigen Veränderungsprozess – und gerade im Vertrieb und Marketing wird kein Stein auf dem anderen bleiben.

Was vielleicht gestern noch ausgereicht hat, um erfolgreich zu sein, wird morgen schon zu wenig sein.

 

 

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